ZahnMedizin – mehr als nur Zähne.

ZahnMedizin – mehr als nur Zähne. So lautete der Titel eines Web-Seminars des Quintessenz-Verlages, das mehr als 500 Zahnärztinnen und Zahnärzte am 12. Oktober 2022 verfolgten. Initiiert von DGÄZ-Präsident Prof. Dr. Dr. Robert Sader (Frankfurt) beschrieben Repräsentanten von fünf zahnmedizinischen Fachgesellschaften zusammen mit Vertretern der jeweils entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften die Bedeutung der Kooperation zwischen den Partner-Fächern bei verschiedenen Störungen und Erkrankungen. Denn es wächst die Einsicht, dass der Schulterschluss zwischen den zahnmedizinischen und medizinischen Disziplinen an Bedeutung gewinnt.  

Experten der Deutschen Gesellschaften für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFTD), für Alterszahnmedizin (DGAZ), ästhetische Zahnheilkunde (DGÄZ), für zahnärztliche Schlafmedizin (DGZS) sowie Sport-Zahnmedizin (DGSZM) beleuchteten jeweils mit ihren medizinischen Kolleginnen und Kollegen, wie es gelingen kann, durch Kooperation Synergien zu schaffen, um bestimmte Krankheiten effektiver zu behandeln und um die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten zu verbessern. Das Web-Seminar fungierte darüber hinaus vor allem auch als ein Testlauf für eine größere Veranstaltung in Präsenz im kommenden Jahr.

Dr. Daniel Weber von der Abteilung für Orofaziale Prothetik und Funktionslehre der Universität Gießen und Prof. Dr. Dr. Andreas Neff Klinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie der Universität Marburg beschrieben die Kooperationsmöglichkeiten bei Craniomandibulären Dysfunktionen. Zwar sei nicht jede CMD behandlungsbedürftig betonte Dr. Weber, doch Bewegungseinschränkungen, Hypermobilität, Koordinationsstörungen, intraartikuläre Störungen oder Gleithindernisse können massive Probleme bereiten. Die Prävalenz subjektiver Symptome liegt bei 13 Prozent: etwa Schmerzen der Gesichtsmuskulatur und/oder in den Kiefergelenken. Fast die Hälfte der klinischen Symptome sind objektivierbar. Frauen sind bis zu zweimal häufiger betroffen als Männer. Am häufigsten treten die Symptome im Alter von 18 bis 45 Jahren auf, bei Kindern und Älteren sind sie eher selten.

Mittels einer Basis-Diagnostik gilt es zunächst, die Leitstruktur zu identifizieren, eventuell gefolgt  von einer erweiterte Diagnostik, um herauszufinden, welche Leitkomponente verantwortlich ist. Denn die Ursache kann myogen, arthropogen oder okklusogen sein. Komorbiditäten kommen bei 25 Prozent der Patienten dazu, etwa psychosomatische Begleiterkrankungen, aber auch Komorbiditäten aus den Bereichen HNO oder Ophtalmologie. Dies erfordere, so Dr. Weber, ein gut eingespieltes interdisziplinäres Team.

Experten der DGFTD arbeiten mit ihren Kollegen von der DGMKG an einem gemeinsamen Klassifikationsystem. Wenn Patienten nicht frühzeitig auf eine konservative Behandlung ansprechen, kann eine Arthroskopie hilfreich sein, bei Kaumuskelbeschwerden kommt auch Botox zum Einsatz.

Seniorenmedizin wird immer wichtiger. Wer älter wird hat dasselbe Recht auf Lebensqualität

Der Alterszahnmediziner Dr. Dirk Bleiel aus Rheinbreitbach betonte zusammen mit der Ärztin und Geriaterin Prof. Dr. Gabriele Röhrig-Herzog von der EUFH Köln die Zusammenarbeit der Disziplinen bei geriatrischen Patienten. Dass hier Handlungsbedarf bestünde, sei keine Frage, so Prof. Röhrig-Herzog, doch die Frage sei wo.

Geriatrische Patienten sind eine heterogene Patientengruppe. Entsprechend der Definition der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie werden Patienten über 70 Jahre mit geriatrischen Syndromen dieser Gruppe zugeordnet, ebenso Menschen über 80 Jahre auch ohne geriatrische Syndrome aufgrund der altersbedingt erhöhten Vulnerabilität. 

Wie aus einem Symptom ein Syndrom werden kann, beschrieb Prof. Röhrig-Herzog am Beispiel der Mundtrockenheit. Hinter diesem kann sich ein Bündel aus tiefer liegenden Ursachen verbergen und es können Folgestörungen auftreten ­– von der eingeschränkten Nahrungsaufnahme, über Schwäche und Bewegungseinschränkungen, eine Abnahme der Muskelkraft bis zur Frailty genannten Gebrechlichkeit. Darum könne, so die Expertin, ein klinisch fassbares Symptom bei Älteren zu einem Syndrom werden. Dies erfordere ein breit angelegtes, interdisziplinäres Assessment. Für Geriater sei jedoch alles, was sich hinter den Lippen befindet Terra inkognita. Darum sei die Zusammenarbeit mit der Zahnmedizin wichtig, die mögliche Ursachen wie Kau-/Beißstörungen, eine defekte Prothese, Entzündungen oder Zahndefekte diagnostizieren kann, während Geriater Laborwerte beisteuern, Grunderkrankungen diagnostizieren oder medikamentöse Therapien überprüfen. „Durch den Informationsaustausch und die Abstimmung kann gemeinsam eine Lösung gefunden werden“, so das Fazit.

Der Alterszahnmediziner Dr. Dirk Bleiel aus Rheinbreitbach appellierte an das Auditorium, sich alleine schon aufgrund der demographischen Entwicklung mit diesen Patienten zu beschäftigen: „Wenn Sie diese Patienten ausblenden, werden Sie Schwierigkeiten haben.“ „Zwar nehmen BEMA-Leistungen im höheren Alter deutlich ab“, so der Experte, „doch ist bei Patienten im Alter von 77 Jahren der Bedarf an Prothetik am höchsten.“ Bei 65 Prozent der Patienten in der stationären Pflege bestünde prothetischer Handlungsbedarf, 76 Prozent hätten abnehmbaren Zahnersatz. 

Der Bedarf bei diesen Patienten sei hoch, so Dr. Bleiel. Viele Prothesen seien mängelbehaftet: schlechter Halt, Bissabsenkung oder Okklusionshindernisse sind häufig. Eine mangelhafte Prothesenhygiene könne sogar Todesursache sein, wenn Keime aus der Mundhöhle absteigen und eine Lungenentzündung verursachen. Prothesenreinigungstabletten seien daher wichtig, ebenso gelte es, dass Prothesen nicht kontinuierlich getragen werden sollten.

DGÄZ-Präsident Professor Sader kombinierte seine Präsentation mit der von Dr. Aiste Gintaute vom universitären Zentrum für Zahnmedizin in Basel. Die Themen: Makro- und Mikroästhetik.

Ausgehend vom Credo der DGÄZ, dass die ästhetische Zahnmedizin nichts mit Kosmetik und kurzfristigen Trends zu tun hat, sondern für die wechselseitige Abhängigkeit von Ästhetik und Funktion steht, beschrieb Professor Sader Dysgnathien als ein gutes Beispiel dafür, dass man Funktion und Ästhetik nicht trennen könne: „nach der Behandlung sind diese Patienten manchmal ganz andere Menschen, die endlich so aussehen, wie sie sich fühlen.“ 

Doch nicht nur die Makroästhetik, auch die Mikroästhetik kann das Leben beeinflussen, wie Dr. Gintaute am Fall eines jungen Patienten mit Frontzahntrauma deutlich machte. 

DG Zahnärztliche Schlafmedizin

Die wenigsten Zahnmediziner denken in ihrem beruflichen Alltag an das Thema Schlaf. Dass es dafür bei manchen Patienten gute Gründe gibt, beschrieben der Schlafzahnmediziner Dr. Emil Krumholz, Frankfurt/Main und der ebenfalls in der hessischen Landeshauptstadt praktizierende HNO-Arzt Prof. Dr. Markus Hambek. Geht es um die Volkskrankheit obstruktive Schlafapnoe, an der in Deutschland rund 20 Millionen Patienten leiden. Die DGZS hat darum eine Kampagne gestartet: Deutschland atmet auf. Allerdings sei die zahnärztliche Schlafmedizin viel mehr als nur die UK-Protrusionsschienentherapie, betonte Dr. Krumholz. Vielmehr gehe es insgesamt um die Erkennung, Behandlung und Prävention der obstruktiven Schlafapnoe (OSA), bei der verschiedene Probleme eine Rolle spielen können, etwa Schlafbruxismus, orofacialer Schmerz, CMD, nicht-kariöse Zahnhartsubstanzverluste. Auch eine Triade aus Schlafapnoesyndrom, gastroösophagealem Reflux und Schlafbruxismus ist keine Seltenheit, in der sich die einzelnen Faktoren gegenseitig beeinflussen und verstärken können. Es gebe, so der Experte, auch eine Wechselwirkung zwischen OSA und Parodontitis:  30 – 40 Prozent aller Patienten mit Parodontitis hätten auch eine Schlafapnoe.  

Schnarchen, erzeugt Mundtrockenheit und beeinflusst das orale Mikrobiom. 

Eine OSA hat vielfältige Auswirkungen, etwa Tagesschläfrigkeit und beeinträchtigt die körperliche Leistungsfähigkeit. Kardiovaskuläre und metabolische Probleme kommen hinzu.

Nicht so einfach die richtige Schiene auszusuchen. 

Der medizinische Partner der Sportzahnmedizin ist normalerweise die Orthopädie. Dr. Florian Göttfert, Nürnberg hatte sich indes Max Lemke, Olympiasieger im Kanu von 2021, an die Seite geholt. Das Fach Sportzahnmedizin in zwar in erster Linie bei Traumen oder bakteriellen Infektion gefordert. Dich auch das Thema Funktion spielt eine Rolle. Hier kommen sogenannte Performance-Schienen zum Einsatz. Die Prävalenz einer CMD liegt bei Profi- und Hochleistungssportlern mit 54,2 Prozent deutlich höher als bei Nicht-Athleten. Diese Probleme im Kiefergelenk haben Auswirkungen auf andere Rotationszentren in der absteigenden Kette, bis zum unteren Sprunggelenk. Auch über die Fazien ist das Gelenk mit dem ganzen Körper verknüpft. „Performance-Schienen machen durchaus Sinn“, so der Experte, „wenn man sie richtig einsetzt. Sie dienen dann auch der Verletzungsprophylaxe.